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«Vereinsamte Computerkids? - Studie belegt das Gegenteil»

Medienmitteilung vom 17. April 2001
des «Schweizerischen Nationalfonds
zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung»
 
zum Forschungsprojekt
«Virtuelle Vergemeinschaftung - Die Sozialwelt des Internet»

Quelle: externer Link       --       version française

 

Medienmitteilung

Nicht etwa sozial vereinsamt, sondern vielmehr gut integriert sind die meist jungen Leute, die einen grossen Teil ihrer Freizeit in Internet-Gesprächsforen verbringen. Wer sich im Netz kennengelernt hat, wird sich früher oder später meist auch persönlich treffen. Dies zeigt eine soziologische Studie, die als Teil des Nationalfonds-Schwerpunktprogramms «Zukunft Schweiz» kürzlich abgeschlossen wurde.

Sie sind im Durchschnitt knapp 24-jährig, überwiegend männlich (89 Prozent), singles (66 Prozent) und wohnen oft noch bei den Eltern (56 Prozent). Die Hälfte von ihnen hat eine Mittelschul- oder Universitätsausbildung, rund ein Drittel ist in informatiknahen Berufen oder Ausbildungen anzutreffen. Und: Sie sitzen durchschnittlich 35 Stunden pro Woche vor dem Computer, davon 18 (2 bis 75) Stunden pro Woche im Internet. So zeichnet eine kürzlich abgeschlossene soziologische Studie das Profil von Internetfreaks, die sich zwischen 1997 und 1999 regelmässig in fünf gut frequentierten schweizerischen Internet-Gesprächsforen aufhielten, in SWIX-chat, SFDRS-chat, MICS sowie ch.talk und ch.comp. Bei den ersten drei handelt es sich um Chatdienste, die ungespeichertes schriftliches Kommunizieren mehrerer Leute gleichzeitig erlauben; letztere zwei sind Newsgruppen, sie funktionieren wie virt- uelle Anschlagbretter, auf denen archivierbare Botschaften asynchron angebracht werden.

Neuer Ansatz

Die Studie, ein Projekt des Nationalfonds-Schwerpunktprogramms «Zukunft Schweiz», hat untersucht, ob Kontakte im Internet zu neuen Formen von sozialen Gemeinschaften führen und inwieweit virtuelle Beziehungen sich von realen unterscheiden. Im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungen konzentrierte sich die Arbeit nicht auf einzelne schon im voraus definierte Internet-Kommunikationsforen. Vielmehr wurden besonders aktive Foren aufgespürt und gut hundert ihrer intensivsten Nutzer und Nutzerinnen zu ihren Kontaktnetzen befragt. Dieser neue Ansatz garantiert gut fundierte Aussagen über die Auswirkungen der Online-Kommunikation auf die soziale Einbindung im virtuellen ebenso wie im realen Raum. Die Forschungsarbeiten führten zu einigen überraschenden Ergebnissen. So etwa widersprechen sie klar der verbreiteten These, dass computervermittelte Kommunikation soziale Vereinsamung nach sich ziehe. «Die Leute, deren Kommunikationsverhalten wir untersucht haben, sind sozial sehr gut vernetzt», haben Projektleiterin Bettina Heintz, Professorin am Soziologischen Institut der Universität Mainz, und Mitarbeiter Christoph Müller festgestellt. Im Durchschnitt verfügten die Befragten über ein soziales Kernnetz von 16 Personen, mit denen sie regelmässig innerhalb und ausserhalb des Internet Kontakt hatten.

Man trifft sich in zwei Welten

«Online-Beziehungen verdrängen nicht die persönlichen Beziehungen, sondern ergänzen sie», lautet ein weiteres in seiner Klarheit neues Ergebnis. Nur gerade mit 24 Prozent ihrer Kontaktpersonen verkehrten die Studienteilnehmenden ausschliesslich virtuell. Zwei Drittel ihrer wichtigsten Internet-Gesprächspartnerinnen und -partner trafen sie regelmässig sowohl online als auch persönlich; dabei erfolgte der erste Kontakt in mehr als der Hälfte der Fälle zuerst im Netz. Die starken Überlappungen der virtuellen und persönlichen Kontakte könnten damit zusammenhängen, dass letztere in einem kleinen Land wie der Schweiz problemlos möglich sind, vermuten die Studienverantwortlichen. Mit dieser speziellen Situation wiederum dürfte es zu erklären sein, dass die befragten Personen erstaunlich selten unter einer fiktiven Identität auftraten; das aus anderen Studien bekannte «gender switching» kam kaum vor.

Im Vergleich zu persönlichen Beziehungen erwiesen sich die Beziehungen im Internet, vor allem jene in den Newsgruppen, als insgesamt weniger eng. Als «persönlich nahestehend» bezeichneten die Befragten nur 11 Prozent der Internet-, aber 50 Prozent der persönlichen Bekanntschaften. Die Online-Beziehungen waren ausserdem häufig auch spezialisierter, d.h. auf nur ein Thema beschränkt, und von den Kontaktpersonen her sozial vielfältiger. Statt zu sozialer Verarmung führen Chats und Newsgruppen-Kommunikation gemäss Studie vielmehr zu einer «Erweiterung des sozialen Umfelds», indem sie Kontakte ermöglichen, die über den unmittelbaren sozialen und geographischen Raum hinausreichen. Stabile virtuelle Gruppen entstehen aus solchen Kontakten laut Bettina Heintz und Christoph Müller zwar sehr selten; vor allem in den Chats hatten sie teilweise aber auch starke Cliquen ausgemacht, die sich online wie offline trafen und so «eine eigene Spielart von Jugendkultur» entwickelten.

Die Studie wird zurzeit in der Dissertation von Christoph Müller um eine inhaltliche Analyse der bereits in einem Textkorpus erfassten Kommunikationsprozesse noch erweitert.

Weitere Auskünfte:

Prof. Dr. Bettina Heintz, Institut für Soziologie der Universität Mainz
Colonel-Kleinmann-Weg 2, D-55099 Mainz
Tel. 0049/ 6131 392 40 42 heintz-at-soziologie.uni-mainz.de

Lic.phil. Christoph Müller, Mainaustr.34, 8008 Zürich
Tel. 01/ 382 04 47 web@socio5.ch oder direkt an: <info-at-socio5.ch>

 


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